Summary: | In der vorliegenden Arbeit wird die Rolle grafischer Prototypen bei der Gestaltung
von Mensch-Maschine-Systemen untersucht. Diese grafischen Modellierungen von Gestaltungsentwürfen sollten den Aufbau mentaler Repräsentationen fördern und somit
die Lösung von Gestaltungsproblemen unterstützen. Diese Annahme wird in zwei
Experimenten überprüft. Die Erkenntnisse werden in die Methode zur prospektiven
Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen integriert und in einer Fallstudie auf ihre
Praktikabilität untersucht. Damit leistet die Arbeit einen Beitrag zur Untersuchung
der Rolle von Visualisierungen in der Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen.
Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen wird als partizipativer Problemlöseprozess
betrachtet, der der integrierten Gestaltung sozialer und technischer Komponenten
von Mensch-Maschine-Systemen dient. Zur Unterstützung der Gestaltung wird der Einsatz von Prototypen,
Modellierungen der Gestaltungsproblemen und -entwürfen, diskutiert.
In aktuellen Methoden zur Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen kommen
unterschiedliche Prototypen zur Unterstützung der Gestaltungsaktivitäten Entwerfen (Konstruktion von Prototypen) und Evaluation (Kommunikation durch die Elaboration von Prototypen) zum Einsatz. Sowohl die Konstruktion als auch die Elaboration von Prototypen sollte den Aufbau mentaler Repräsentationen fördern (Neyer, Doll & Moeslein, 2008; Sachse, Hacker & Leinert, 1999; Smith & Browne, 1993). Dieser
Aufbau mentaler Repräsentationen stellt eine zentrale Funktion von Prototypen dar,
da angemessene Repräsentationen des Gestaltungsgegenstands als Voraussetzung für
gute Gestaltung und für die Evaluation durch Beteiligte angesehen werden (Eason,
Harker & Olphert, 1996; Novick & Hmelo, 1994; Sachse & Hacker, 1997). Welche Form
von Prototypen dafür besser geeignet ist, wurde bislang nicht empirisch geprüft.
Die Hauptfragestellungen dieser Arbeit beziehen sich auf den Effekt der Konstruktion
von Prototypen sowie die Effekte der Konstruktion und Elaboration grafischer
im Vergleich zu narrativen Prototypen auf mentale Repräsentationen. Diesen Fragestellungen wird in zwei Experimenten und einer Fallstudie im Anwendungsbereich der
Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen nachgegangen.
In dem ersten Experiment wurde die Unterstützung der Entwurfsphase, d.h. der
Aufbau mentaler Repräsentationen durch die Konstruktion von Prototypen untersucht.
Probanden konstruierten grafische oder narrative Prototypen eines Mensch-Maschine-Systems (Experimentalgruppen) oder rezipierten Informationen zum Mensch-
Maschine-System (Kontrollgruppe). Die Konstruktion von Prototypen führte zu besseren mentalen Repräsentationen des Problemraums. Die Form der Prototypen beeinflusste die Güte der mentalen Repräsentationen nicht, jedoch wurde die grafische Modellierungsnotation besser bewertet.
Im zweiten Experiment wurde die Funktion von grafischen und narrativen Prototypen
für die Kommunikation von Gestaltungsvisionen untersucht. Die Fragestellung war, wie sich die Elaboration grafischer oder narrativer Prototypen auf die mentalen Repräsentationen, die zur Elaboration benötigte Zeit sowie die Bewertung der Modellierungsnotation auswirkt. Mit grafischen Prototypen konnten in kürzerer Zeit mentale Repräsentationen des Problemraums aufgebaut werden, die mehr Elemente enthielten als die narrativer Prototypen. Zudem wurden grafische Prototypen erneut besser bewertet.
Darüber hinaus wurde die Funktion grafischer Prototypen in einer Fallstudie erprobt. Die Methode zur prospektiven Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen (Hamborg, Schulze & Sendfeld, 2007) wurde in dieser Arbeit weiterentwickelt und zur Einführung von Standardsoftware eingesetzt. Grafische Prototypen kamen in Kombination mit Gestaltungsheuristiken sowohl in der Entwurfs- als auch der Evaluationsphase
zum Einsatz. Es zeigte sich, dass die Methode durchführbar und praktikabel ist
und die Gestaltung unterstützt. Grafische Prototypen wurden dabei als verständlich
und nützlich bewertet.
Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Untersuchungen, dass grafische Prototypen
das Entwerfen und die Kommunikation von Gestaltungsentwürfen unterstützen,
indem sie zum Aufbau mentaler Repräsentationen des Problemraums beitragen.
Der Einsatz grafischer Prototypen erlaubt es z.B., die Folgen von Technologie-
Einführungen im Vorfeld berücksichtigen zu können. Damit hat diese Arbeit über
den reinen Erkenntnisgewinn hinaus einen praktischen Nutzen bei der Verbesserung
der methodischen Unterstützung der Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen. In
weiteren Untersuchungen sollten die vermuteten Effekte von Prototyping auf die Gestaltungsgüte empirisch adressiert werden und die gewonnenen Erkenntnisse in quasiexperimentellen Studien repliziert werden.
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