Neuroanatomische Untersuchungen zur intrinsischen Konnektivität im Motorkortex des Menschen
Der Motorkortex war das erste Hirnareal, das experimentell getestet wurde und damit der Lokalisationstheorie zum Durchbruch verhalf. Dem Motorkortex wurde die Aufgabe der Muskelsteuerung zugeschrieben, indem benachbarte Neuronenbezirke über das Rü-ckenmark benachbarte Muskeln innervieren. Die somato...
Main Author: | |
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Format: | Others |
Language: | German de |
Published: |
2013
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Online Access: | https://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/3376/1/KvonWangenheimDissertationOnline.pdf von Wangenheim, Klaus <http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/view/person/von_Wangenheim=3AKlaus=3A=3A.html> (2013): Neuroanatomische Untersuchungen zur intrinsischen Konnektivität im Motorkortex des Menschen.Darmstadt, Technische Universität, [Ph.D. Thesis] |
Summary: | Der Motorkortex war das erste Hirnareal, das experimentell getestet wurde und damit der Lokalisationstheorie zum Durchbruch verhalf. Dem Motorkortex wurde die Aufgabe der Muskelsteuerung zugeschrieben, indem benachbarte Neuronenbezirke über das Rü-ckenmark benachbarte Muskeln innervieren. Die somatotope Repräsentanz des Körpers im Gehirn war geboren und diente hundert Jahre als Vorlage für die Neurowissenschaft-ler. Zwei methodische Neuerungen leiteten eine neue Ära ein:
- die intrakortikale Mikrostimulation (für die Physiologen), die es erlaubte, direkt Neurone zu reizen bzw. ihre Aktivität abzuleiten und damit sehr viel näher an die Geschehnisse im Gehirn zu gelangen.
- der Einsatz neuer Fluoreszenz- und anderer Farbstoffe (für die Anatomen), die es erlaubten, feinste Zellverästelungen anzuzeigen und damit dem tatsächlich vor-handenen Verbindungsdickicht auf die Spur zu kommen.
Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass das somatotope Konzept zwar hilfreich war, sich aber in seinen einfachen Varianten als unzu-treffend erwies. Die zentralen Befunde waren die mehrfache Repräsentanz von Körpertei-len, insbesondere der Hände, und das weitreichende Netzwerk intrinsischer Verbindungen im Motorkortex. Verschiedene Steuerzentralen für die gleichen Körperteile und weit-gestreute Informationen der einzelnen Neurone unterliefen die Vorstellung von der Ko-ordination benachbarter Neuronengruppen und erforderten neue Konzepte.
An dieser Stelle entstand das Thema dieser Arbeit. Durch Injektion des lipophilen Fluores-zenzfarbstoffs Dioktadezyltetramethylindokarbozyanin Perchlorat (DiI) in den primären Motorkortex konnte das intrinsische Netzwerk aller Neurone angefärbt werden, die mit dem Kristall Kontakt hatten. Die am weitesten entfernten Neurone fanden sich in den Schichten II oder III bis zu einer Entfernung von 12 mm vom Injektionsmittelpunkt. Die Färbungen wiesen zwei Netzwerke aus: in den (supragranulären) Schichten II und III in einer auch quantitativ belegbaren Dichte und in den (infragranulären) Schichten V und VI als qualitativer Nachweis. Drei Zonen sind unterscheidbar: eine Zone dichter, gefärbter Strukturen bis zu einem Abstand von etwa 3 mm, eine Zone von unterscheidbaren Pat-chen, die rund um die Injektionsstelle liegen bis ca. 6 mm und einen peripheren Bereich, in dem einzelne Patche und gefärbte Strukturen verstreut bis zu 12 mm Abstand vorlie-gen. In Vertikalschnitten konnte zwischen den supra- und infragranulären Netzwerken eine dünne Zwischenschicht ohne oder mit nur wenigen gefärbten Zellen und Zellstruktu-ren (in Höhe von Schicht IV) festgestellt werden. Schicht III trägt den Hauptteil der Neuro-ne, die etwa zur Hälfte in Patchen zu finden sind. Als Patch werden gefärbte ellipsoide Gewebebereiche mit einem Durchmesser von durchschnittlich rund 620 µm bezeichnet, deren Neuropil das Gebiet vom umliegenden ungefärbten Gewebe abhebt. Zellen, Patche und Axone sind asymmetrisch um die Injektionsstelle verteilt und zeigen eine anterior-posteriore Orientierungsbevorzugung. Die Konnektivität in diesen Netzwerken ist nicht auf die Terminalfelder beschränkt. Die Axone sind über ihre gesamte Länge mit Boutons en passant besetzt, in unterschiedlicher lokaler Dichte. Eine Korrelation mit der Entfernung konnte nicht festgestellt werden, wohl aber eine Korrelation mit der Kortextiefe. Die höchsten Boutondichten fanden sind in den oberen Schichten insbesondere in der Schicht I, die niedrigsten in den unteren Schichten (Signifikanztest Kruskal-Wallis). Das lässt auf eine weite Streuung der Information innerhalb der eine Bewegung tragenden Körper-gliedmaßen und auf eine intensive vertikale Informationskoordination schließen.
Diese Ergebnisse ergänzen stimmig die bei Säugern vorliegenden Daten. Sie wurden in einer vergleichenden Betrachtung input- und output-orientierter Areale mit den hohen Koordinationsanforderungen im Motorkortex und der daraus resultierenden Rindendicke und Verbindungsdichte korreliert. Dabei wurde deutlich, dass es derzeit keine stimmige neue Konzeption der Informationskodierung und –prozessierung im Motorkortex gibt. In Hinblick auf das anatomische Bild wurde eine Strukturierung ähnlich den „Small-world“-Netzwerken favorisiert, da das kolumnäre Hirnmodell, also die Vorstellung abgrenzbarer Funktionsmodule, nicht mehr begründet aufrecht erhalten werden kann. Die Vorstellung ineinander verwobener distributiver intrinsischer Netzwerke passt andererseits leidlich gut zu den Untersuchungen und Theorien interaktiver Neuronenpopulationen, deren Verarbeitungsalgorithmen bisher nicht aufgeklärt werden konnten, die aber gleichwohl über präzise Synchronisierungen innerhalb interaktiver Kommunikationsnetze nachweis-bar agieren.
Ergänzend wurden Gewebe des prämotorischen und somatosensorischen Kortex unter-sucht. Die zytoarchitektonischen Unterschiede der Areale spiegeln sich nicht in hier fest-stellbaren Verbindungsunterschieden im intrinsischen Netzwerk wider. Die Patches im somatosensorischen Kortex scheinen klarer als im Motorkortex abgegrenzt zu sein. Die Verbindungsreichweiten liegen im somatosensorischen Kortex bei 10 mm, im prämotori-schen Kortex bei 12 mm und damit in der Größenordnung der Reichweiten im primären Motorkortex. Bei den übrigen Kennzahlen weist der prämotorische Kortex etwas kleinere Dimensionen auf: Kleinere Patches und Dendritenfelder, weniger verzweigte Dendriten-äste (bei etwas stärkerer Verzweigung, aber auch nennenswerten unverzweigten Dendri-tenästen) und geringere Boutondichten. Diese Aussagen stehen unter dem Vorbehalt als Einzelergebnisse keine allgemeine Gültigkeit zu haben.
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