Heart Rate Variability
Ein gesunder Herzschlag zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er besonders regelmäßig ist. Vielmehr sollte ein gesunder Herzschlag, selbst in Phasen augenscheinlicher körperlicher Inaktivität, variabel sein (z.B. Appelhans & Luecken, 2006; Berntson et al., 1997; Shaffer, McCraty, & Zerr, 201...
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Format: | Doctoral Thesis |
Language: | English |
Published: |
Universitätsbibliothek Chemnitz
2018
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Online Access: | http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:ch1-qucosa-233101 http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:ch1-qucosa-233101 http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/23310/Dissertation_Stefan_Uhlig.pdf http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/23310/signatur.txt.asc |
Summary: | Ein gesunder Herzschlag zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er besonders regelmäßig ist. Vielmehr sollte ein gesunder Herzschlag, selbst in Phasen augenscheinlicher körperlicher Inaktivität, variabel sein (z.B. Appelhans & Luecken, 2006; Berntson et al., 1997; Shaffer, McCraty, & Zerr, 2014). Historisch gesehen ist dies keine völlig neue Erkenntnis – bereits in der frühen chinesischen und griechischen Medizin konnte dieses Phänomen beobachtet werden (einen schönen Überblick hierzu gibt Billman, 2011). Das Zusammenwirken der sympathischen und parasympathischen Bestandteile des autonomen Nervensystems, welches sich unter anderem in der Herzratenvariabilität (HRV) widerspiegelt, erlaubt uns nicht nur Einblicke in die physiologische Adaptionsfähigkeit, sondern auch in die psychische Flexibilität und Regulationsfähigkeit des Menschen, um so auf sich ständig ändernde Umweltanforderungen angemessen reagieren zu können (z.B. Appelhans & Luecken, 2006; Beauchaine, 2001; ChuDuc, NguyenPhan, & NguyenViet, 2013; Porges, 1995b; Quintana & Heathers, 2014; Riganello, Garbarino, & Sannita, 2012; Shaffer et al., 2014; Stein & Kleiger, 1999; Thayer & Lane, 2000). Mit ganz einfachen Worten: Die Variabilität unseres Herzschlages stellt eine Art Interface dar, welches Auskunft über das Zusammenspiel physiologischer und psychologischer Prozesse gibt.
In der vorliegenden Monografie beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema HRV, insbesondere mit der Anwendung und Durchführung von HRV-Kurzzeitmessungen (meistens fünf Minuten) im Kontext (bio-) psychologischer Forschung. Während ich im Rahmen des ersten Kapitels eine komprimierte Einführung in die Thematik und einen Überblick über die nachfolgenden Kapitel gebe, beschäftigt sich Kapitel II mit der Frage, welche methodischen Standards für HRV-Kurzzeitmessungen derzeit vorliegen. Ausgangspunkt hierfür sind vereinzelte Hinweise (z.B. im Rahmen meta-analytischer Bestrebungen) darauf, dass die Erfassung, Darstellung und Interpretation von HRV-Messungen durch ein nicht unerhebliches Maß an Diversität gekennzeichnet ist (z.B. de Vries, 2013; Ellis, Zhu, Koenig, Thayer, & Wang, 2015; Quintana & Heathers, 2014; Tak et al., 2009; Zahn et al., 2016). Ferner fehlen bis heute belastbare Normwerte für die gängigsten HRV-Parameter, die typischerweise in Kurzzeitmessungen berechnet werden können (vgl. Nunan, Sandercock, & Brodie, 2010). Ausgehend von diesen Beobachtungen stellen wir ein systematisches Literaturreview vor. In einem ersten Schritt haben wir aktuelle Standards zur Erhebung und Auswertung von HRV-Messungen identifiziert, auf deren Basis wir ein Klassifikationssystem zur Beurteilung von HRV-Studien erstellt haben. Nachfolgend wurden zwischen 2000 und 2013 publizierte Artikel (N = 457), im Hinblick auf die extrahierten methodischen Standards, überprüft. Unsere Ergebnisse legen das Vorhandensein einer beträchtlichen methodischen Heterogenität und einen Mangel an wichtigen Informationen nahe (z.B. in Bezug auf die Erhebung essentieller Kontrollvariablen oder das Berichten von HRV-Parametern), einhergehend mit der Tatsache, dass sich gängige Empfehlungen und Richtlinien (z.B. Task Force, 1996) nur partiell in der empirischen Praxis wiederfinden. Auf der Grundlage unserer Ergebnisse leiten wir Empfehlungen für weitere Forschung in diesem Bereich ab, wobei sich unsere „Checkliste“ besonders an forschende Psychologen richtet. Abschließend diskutieren wir die Einschränkungen unseres Reviews und unterbreiten Vorschläge, wie sich diese - bisweilen unbefriedigende - Situation verbessern lässt.
Während unserer umfangreichen Literaturrecherche ist uns sehr schnell aufgefallen, dass HRV-Kurzzeitmessungen auf ein breites wissenschaftliches Interesse stoßen, wobei verschiedenste Konzepte und Forschungsfragen mit spezifischen HRV-Mustern in Verbindung gebracht werden (vgl. Beauchaine, 2001; Dong, 2016; Francesco et al., 2012; Makivić, Nikić, & Willis, 2013; Nunan et al., 2010; Pinna et al., 2007; Quintana & Heathers, 2014; Sammito et al., 2015; Sandercock, 2007). Darunter befinden sich sowohl eher eigenschaftsähnliche (z.B. Trait-Angst; Miu, Heilman, & Miclea, 2009; Watkins, Grossman, Krishnan, & Sherwood, 1998) als auch stark situationsabhängige Konstrukte (z.B. akute emotionale Erregung; Lackner, Weiss, Hinghofer-Szalkay, & Papousek, 2013; Papousek, Schulter, & Premsberger, 2002). Während die beiden einflussreichsten Theorien zur HRV, die Polyvagal-Theorie (Porges, 1995b, 2001, 2007) und das Modell der neuroviszeralen Integration (Thayer & Lane, 2000, 2009), einen dispositionellen Charakter der HRV nahelegen, sind zahlreiche Einflussfaktoren bekannt, die unmittelbare Auswirkungen auf das autonome Nervensystem haben (Fatisson, Oswald, & Lalonde, 2016; Valentini & Parati, 2009). Demzufolge haben wir uns die Frage gestellt, wie zeitlich stabil individuelle HRV-Messungen sind (siehe Kapitel III). Da die existierende Literatur hierzu ambivalente Ergebnisse bereithält (Sandercock, 2007; Sandercock, Bromley, & Brodie, 2005) und die zeitliche Stabilität von HRV-Messungen bisher vornehmlich über sehr kurze Zeiträume mit wenigen Messzeitpunkten untersucht wurde (z.B. Cipryan & Litschmannova, 2013; Maestri et al., 2009; Pinna et al., 2007), haben wir eine längsschnittliche Studie mit fünf Messzeitpunkten, verteilt auf ein Jahr, konstruiert (N = 103 Studierende). In Abhängigkeit von der Körperhaltung der Probanden während der Messung (liegend, sitzend, stehend), haben wir nachfolgend die Retest-Reliabilität (absolute und relative Reliabilität; siehe Atkinson & Nevill, 1998; Baumgartner, 1989; Weir, 2005) der gängigsten HRV-Parameter ermittelt. Unsere Ergebnisse deuten auf ein beachtliches Ausmaß an Zufallsschwankungen der HRV-Parameter hin, welches weitgehend unabhängig von der Körperhaltung der Probanden und dem zeitlichen Abstand der Messzeitpunkte ist. Da diese Ergebnisse weitreichende Folgen suggerieren, diskutieren wir diese, unter Berücksichtigung vorhandener Einschränkungen, ausführlich.
Während in Kapitel II und III vornehmlich methodische Fragen im Fokus stehen, stelle ich in Kapitel IV dieser Monografie eine Feldstudie vor. Im Rahmen dieser Studie haben wir die Zusammenhänge zwischen subjektivem Stress, Coping-Strategien, HRV und Schulleistung untersucht. Sowohl die bereits erwähnten Theorien (Porges, 1995b, 2001, 2007, Thayer & Lane, 2000, 2009), als auch eine beträchtliche Anzahl an Forschung, lassen Zusammenhänge zwischen HRV und Stress (z.B. Berntson & Cacioppo, 2004; Chandola, Heraclides, & Kumari, 2010; Krohne, 2017; Michels, Sioen, et al., 2013; Oken, Chamine, & Wakeland, 2015; Porges, 1995a; Pumprla, Howorka, Groves, Chester, & Nolan, 2002) sowie HRV und kognitiver Leistung vermuten (z.B. Duschek, Muckenthaler, Werner, & Reyes del Paso, 2009; Hansen, Johnsen, & Thayer, 2003; Luque-Casado, Perales, Cárdenas, & Sanabria, 2016; Shah et al., 2011). Allerdings fehlt es bislang an Studien, welche die komplexeren Zusammenhänge zwischen all den genannten Konstrukten untersuchen. Dies gilt insbesondere für die Untersuchung von Kindern und Jugendlichen. Um zur Schließung dieser Wissenslücke beizutragen, haben wir Gymnasiasten (N = 72, zwischen zehn und 15 Jahren alt) im Rahmen eine Querschnittstudie zu deren Stresserleben und Bewältigungsstrategien (mittels SSKJ 3-8; Lohaus, Eschenbeck, Kohlmann, & Klein-Heßling, 2006) befragt. Außerdem wurden bei all diesen Schülern HRV und Zeugnisdurchschnittsnoten erhoben. Unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung konstruktiver Coping-Strategien zur Vermeidung von physischen und psychischen Stresssymptomen, welche ihrerseits negative Auswirkungen auf die Schulleistung haben. Demgegenüber lassen sich die erwarteten Zusammenhänge zwischen HRV und Stress/Coping (Berntson & Cacioppo, 2004; Dishman et al., 2000; Fabes & Eisenberg, 1997; Lucini, Di Fede, Parati, & Pagani, 2005; Michels, Sioen, et al., 2013; O’Connor, Allen, & Kaszniak, 2002; Porges, 1995a) sowie HRV und kognitiver Leistung (Hansen et al., 2003; Suess, Porges, & Plude, 1994; Thayer, Hansen, Saus-Rose, & Johnsen, 2009) anhand unserer Daten nicht bestätigen. Mögliche Gründe für dieses Befundmuster sowie Anforderungen an zukünftige Studien dieser Art werden abschließend diskutiert.
Schlussendlich (a) fasse ich alle gesammelten Erkenntnisse prägnant zusammen, (b) diskutiere deren Implikationen, (c) stelle deren Beitrag zum wissenschaftlichen Forschungsstand heraus, und (d) gebe einen kurzen Einblick in die jüngsten Entwicklungen der HRV-Forschung (Kapitel V). Außerdem, und damit schließe ich den inhaltlichen Part dieser Monografie ab, möchte ich den Leser an meinen zehn wichtigsten Lernerfahrungen teilhaben lassen. |
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