Die visuelle Interpretation von Fernerkundungsdaten

Die Fähigkeit, in Luft- und Satellitenbildern Objekte wiederzuerkennen, kann folgendermaßen erklärt werden: Aus der Kenntnis einer Landschaft und ihrer Abbildung im Bild werden Interpretationsregeln entwickelt, die bestimmten Kombinationen von Bildmerkmalen wie Farbe, Form, Größe, Textur oder Kontex...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Donner, Ralf
Other Authors: TU Bergakademie Freiberg, Geowissenschaften, Geotechnik und Bergbau
Format: Doctoral Thesis
Language:deu
Published: Technische Universitaet Bergakademie Freiberg Universitaetsbibliothek "Georgius Agricola" 2009
Subjects:
Online Access:http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:105-095192
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:105-095192
http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/2256/GeowissenschaftenDonnerRalf09519.pdf
Description
Summary:Die Fähigkeit, in Luft- und Satellitenbildern Objekte wiederzuerkennen, kann folgendermaßen erklärt werden: Aus der Kenntnis einer Landschaft und ihrer Abbildung im Bild werden Interpretationsregeln entwickelt, die bestimmten Kombinationen von Bildmerkmalen wie Farbe, Form, Größe, Textur oder Kontext festgelegte Bedeutungen zuordnen. Kommt es nicht auf das Wiedererkennen mit festen Wahrnehmungsmustern an, stellt sich die bislang offene Frage nach einer wissenschaftlichen Kriterien genügenden Methode, wie der gedankliche Zusammenhang zwischen den Sinneswahrnehmungen erfasst werden kann. Die Erfahrung von Umkehrbildern und optischen Täuschungen führt zur Frage nach dem festen Element bei der visuellen Interpretation von Fernerkundungsdaten. Galileis Antwort, Messwerte als Ausgangspunkt naturwissenschaftlicher Erkenntnis zu nehmen, löst die Mehrdeutigkeiten und Unsicherheiten gedanklicher Interpretationen nicht auf, denn zu jeder Zahl gehört bereits eine gedankliche Bestimmung darüber, was sie bedeutet: Äpfel, Birnen, Höhendifferenzen … Daher muss für die begriffliche Interpretation der Wahrnehmungen ein anderer Ausgangspunkt bestimmt werden: Weder kann der Mensch beobachten oder wahrnehmen, ohne seine Erlebnisse gedanklich zu fassen und zu ordnen, noch ist die Sinnesempfindung ein subjektives, vom Gegenstand abgespaltenes, nur persönliches Erlebnis. Wahrnehmung realisiert sich als Einheit von Wahrnehmendem und Wahrgenommenen. Demzufolge gibt es keine binäre Unterscheidung von objektiver Tatsache und subjektiver Interpretation. Wahrnehmung findet zwischen den Polen reiner Empfindung eines gegebenen und sinnlichkeitsfreien Denkens statt. Die reinen Erlebnisqualitäten der Sinnesempfindungen (warm, kalt, hell, rau) stellen sich als die am wenigsten von der subjektiven gedanklichen Interpretation abhängigen Elemente des Erkenntnisprozesses dar. Diesem Verhältnis von Beobachtung und gedanklicher Deutung entspricht ein phänomenologischer Untersuchungsansatz. Mit ihm bekommen Erfahrungen als absolute Elemente der Wahrnehmung primäre Bedeutung, gedankliche Interpretationen werden zu Abhängigen. Daher werden in der Untersuchung Ergebnisse phänomenologischer Arbeiten bevorzugt. Auch die eigene Bearbeitung des Themas geht von einer konsequent empirischen Position aus. Um einen Sachverhalt zu verstehen, genügt es nicht, bei den Sinnesempfindungen stehen zu bleiben, denn zu ihrem Verständnis fehlt der gedankliche Zusammenhang, die Erlebnisse müssen begrifflich interpretiert werden. Dabei ist die Doppelrolle der Begriffe von entscheidender Bedeutung: In der Analyse grenzen sie innerhalb des Erfahrungsfeldes Teilaspekte gegeneinander ab, welche in der Synthese durch dieselben Begriffe gedanklich verbunden werden. Diese Funktion der Begriffe wird ausgenutzt, um Wiedererkennen und Bildung von Verständnis zu differenzieren: Die Interpretation der Erfahrung nach a priori vorgegebenen Mustern zielt auf das Wiedererkennen. Im Gegensatz dazu emergiert Verständnis im Prozess der Begriffsbildung aus den Beobachtungen: Man sucht erst nach einer Gliederung, welche eine gedankliche Synthese plausibel erscheinen lässt. Das Konzept der Selbstorganisation hat in der Ökologie mechanistische Vorstellungen weitgehend abgelöst und im letzten Jahrzehnt auch in die Technik Eingang gefunden. Mit den Worten dieses Konzeptes kann die Begriffsbildung als Erkenntnisprozess beschrieben werden, in welchem sich gedankliche und nichtgedankliche Wahrnehmungen selbst organisieren. Sinnesempfindungen haben auch in anderen Zugangsweisen zur Natur eine dominierende Stellung. Daher können Goetheanismus, wissenschaftliche Ästhetik und Kunst zu einer voraussetzungslosen Naturerkundung beitragen. Die nahe Verwandtschaft von Phänomenologie, Ästhetik und Kunst lässt künstlerisches Schaffen als Vervollkommnung des in der Natur Veranlagten erscheinen. Weitere Querbeziehungen ergeben sich aus der Interpretation topografischer oder thematischer Karten oder sonstiger visualisierter raumbezogener Daten. Parallelen und Unterschiede werden herausgearbeitet. Moderne Naturwissenschaft ist quantitativ. Daher ist zu klären, was mathematische Modellierung zur Verständnisbildung beiträgt. In diesem Teil der Arbeit ist es der folgende Gedanke, welcher über die hinlänglich bekannte Nützlichkeit mathematischer Modellierungen, Vorausberechnungen und Simulationen hinausgeht: Die Mathematik überzeugt durch ihre logische Strenge in der Ableitung und Beweisführung: Aus Obersatz und Untersatz folgt die Konklusion. Eine Beobachtungsmethode, bei welcher eine Beobachtung an die nächste gereiht wird, so dass sich das Eine aus dem Anderen ergibt, wobei kein Sprung die Folge unterbricht, käme der Notwendigkeit eines mathematischen Beweises gleich. Diese strenge Folge des Einen aus dem Anderen tritt in der wissenschaftlichen Argumentation an die Stelle der spontanen Intuition mit Verifikation, Falsifikation und bestätigendem Beispiel. Auf diese Weise kann durch die Anwendung der mathematischen Methode eine realitätsnahe Begriffsbildung erreicht werden. Die bis hierher dargelegten Aspekte der Wahrnehmung, der Ästhetik, der Kunst und der Mathematik werden in der Methode einer voraussetzungslosen Begriffsentwicklung zusammengefasst. Damit ist das Hauptziel der Untersuchung, die Entwicklung einer auf das Verständnis gerichteten erfahrungsbasierten Beobachtungsmethode, erreicht. Die Abhandlung wird mit der Anwendung der entwickelten Methode auf einen Grundbegriff der Geoinformatik in folgender Weise fortgesetzt: Für die Geoinformatik ist der Raumbegriff von grundlegender Bedeutung. Daher bietet es sich an, diesen Begriff unter Anwendung der entwickelten Methode zu untersuchen. Unter phänomenologischen Gesichtspunkten stehen Raum und Zeit in einem engen Zusammenhang. Beide werden in der Bewegung erfahren. Interpretiert man Bewegung mit den Begriffen des Nebeneinander und des Nacheinander, entsteht Wissen von Raum und Zeit. Mit anderen Worten: Die am Leib erfahrene Bewegung wird durch Interpretation mit dem Raumbegriff zur Vorstellung durchlaufener Orte. Je nachdem, welche Sinneserfahrungen, allgemeiner: Beobachtungen, zugrunde gelegt werden, hat der Raum unterschiedliche geometrische Eigenschaften. Die Erfahrungen des Tastsinnes begründen euklidische Beobachtungen. Die Begriffe Raum und Zeit haben für die Verständnisbildung eine fundamentale Bedeutung. Mit ihrer Hilfe können die Erlebnisse als zugleich und nebeneinander oder als nacheinander geordnet werden. Sie ermöglichen Erkenntnis durch Analyse und Synthese. Wesentliches Motiv der Untersuchung ist die Frage nach der Bildung von Verständnis im Rahmen der visuellen Interpretation. Das Erkennen von Objekten stellt sich als synästhetische Synthese der Sinnesempfindungen und gedanklicher Inhalte dar. Unterschiedliche Gewichtungen der Gedankeninhalte lassen zwei Vorgehensweisen unterscheiden: 1, Für das Erkennen von Neuem ist es von grundlegender Bedeutung, dass die gedanklichen Inhalte den nichtgedanklichen Sinnesempfindungen untergeordnet sind, das heißt von diesen modifiziert werden können. Vorgewussten Begriffen kommt die Rolle von Hypothesen zu. 2, Beim Wiedererkennen haben gedankliche Inhalte eine dominierende Rolle – anhand von Interpretationsmerkmalen sollen Bildinhalten Bedeutungen zugewiesen werden. Das Bild wird hierzu nach Bildflächen mit solchen Kombinationen von Farben, Formen, Mustern, Texturen und räumlichen Anordnungen durchsucht, die dem zu suchenden Begriff entsprechen können. Oder das Bild wird, bei Verwendung einer Art Beispielschlüssel, nach Übereinstimmungen mit kompletten Bildmustern durchsucht. Auch das ist eine Form des Wiedererkennens. Um ein Phänomen zu verstehen, kommt es darauf an, in der Regelmäßigkeit der äußeren Form den Zusammenhang zu entdecken, der den verschiedenartigen Ausgestaltungen als regelndes Element zugrunde liegt. Dazu muss über eine Klassifizierung von Interpretationsmerkmalen hinausgegangen werden. Die gedankliche Auseinandersetzung mit den visualisierten Repräsentanzen der Phänomene unterstützt die Bildung eines solchen ideellen Zusammenhangs, welcher das in aller Mannigfaltigkeit der natürlichen Erscheinungen Gleichbleibende, Ruhende darstellt, aus welchem die Einzelphänomene hervorgegangen sein könnten. Die Funktionen beschreiben die Wechselwirkungen zwischen den räumlichen Elementen, welche sich in Austauschprozessen von Energie, Material und Stoffen ausdrücken. Überall dort, wo räumliche Anordnung ein Ausdruck funktionaler Beziehungen ist, unterstützt die visuelle Wahrnehmung der räumlichen Beziehungen die Einsicht in die sachlichen. In den Schlussfolgerungen wird die Visualisierung von Geodaten als Mittel zur Sichtbarmachung des Zusammenhanges zwischen den Erscheinungen charakterisiert. Die Bezugnahme zur Fernerkundung führt zu der Feststellung, dass die Anwendung der vorgeschlagenen Forschungsstrategie im Bereich der Geofernerkundung nur eingeschränkt möglich ist.