Summary: | Gestützt auf die Soziologie Pierre Bourdieus fragt der vorliegende Aufsatz nach dem Fach- und Berufsverständnis von Walter Hagemann, der 1946 als universitätsfremder Seiteneinsteiger die Leitung des Zeitungswissenschaftlichen Instituts an der Universität Münster übernahm und dann rasch an die Spitze der kleinen Nachkriegsdisziplin gelangte. Mithilfe von zahlreichen Archivquellen, ausgewählten Publikationen und Zeitzeugenauskünften wird gezeigt, dass Hagemann die diskreditierte NS-Zeitungswissenschaft als anwendungsorientierte Publizistikwissenschaft neu erfand. Erklären lässt sich diese spezifische Neuausrichtung nicht nur mit Hagemanns journalistischer Vergangenheit und den Kontakten, über die er als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens verfügte, sondern auch mit den Erfordernissen, denen er als Vertreter eines existenzbedrohten Fachs entsprechen musste. Ob sein Theoriegebäude, die von ihm betriebene Lehre und Forschung oder sein institutionelles Engagement – Hagemanns gesamtes wissenschaftliches Wirken war geprägt von dem Bemühen, mit der Praxis in Beziehung zu treten und der Disziplin auf diesem Weg die überlebenswichtige Anerkennung zu verschaffen. Sein Ansatz, der zwar die Kritiker aus der Praxis nicht vollends verstummen ließ, aber zumindest im Fach auf große Resonanz stieß, fand jedoch Ende der 1950er Jahre ein abruptes Ende. Nach einem öffentlichen Auftritt an der Seite von Walter Ulbricht in der DDR wurde Walter Hagemann aus der Fachgemeinschaft ausgeschlossen, und ohne wissenschaftliches Erbe geriet sein praxisorientierter Ansatz schon bald wieder in Vergessenheit.
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